Warum Latein auf den Stundenplan gehört
Verzichtbares Luxuswissen? Eine tote Sprache? Das sinnloseste aller Maturafächer? Von wegen.
„Non vitae, sed scholae discimus.“ Nicht für das Leben, für die Schule lernen wir. Das sagte einst Seneca, wie all jene wissen, die sich während ihrer schulischen Laufbahn mit Ablativen und Deponentia herumgeschlagen haben. Und die sich Zeit ihres Lebens dafür rechtfertigen müssen. Weshalb sich bloß freiwillig ein verzichtbares Luxuswissen aneignen? Eine tote Sprache lernen? Das wohl sinnloseste aller Maturafächer wählen?
Weil Kenntnisse der indogermanischen Sprache nützlich sind. Auch dann, wenn man nicht den Berufsweg Papst einschlägt. Denn: Wer sich Lateinvokabel aneignet, hat es mit anderen (nicht nur) romanischen Sprachen leichter – Wörter ähneln sich, der Satzbau ebenso. Die Grammatik? Geschenkt. Senecas Zitat? Sei in diesem Sinne schlichtweg umgekehrt.
Latein ist ein Gesamtpaket. Wer es lernen will, tut es anhand von historischen Texten. Man begegnet Caesar auf dem Weg in den Gallischen Krieg, erlebt mit Plinius den Ausbruch des Vesuv mit (und ist für den kommenden Neapel-Besuch mehr als gewappnet) oder lernt von keinem Geringeren als Cicero, was es heißt, rhetorisch firm eine Rede zu bauen. Nebenbei erfährt man Grundlegendes der Philosophie, Geschichte und Politik. Drei Bereiche, die in den Stundenplänen 2.0 ohnehin wiederkehrenden Kürzungswellen unterliegen. Wer medizinische Befunde – zumindest ansatzweise – ohne Dolmetscher verstehen will, dem sei eine Dosis Latein ebenso angeraten wie angehenden Richtern. „In dubio pro reo“, im Zweifel für den Angeklagten, würde wohl nicht zuletzt so mancher Buwog-Beschuldigter gerne hören.
Apropos hören: Ohne Latein könnte uns kein Omnibus („für alle“) in die Arbeit führen. Freilich, mancher Liebhaber wäre froh, de facto (tatsächlich) nie in flagranti („auf frischer Tat“) ertappt zu werden. Vice versa („umgekehrt“) würde die Namensgebung so mancher Automobile („beweglich“) äußert fad ausfallen: Opel Astra („Stern“) klingt schließlich weit prickelnder als Opel 1 bis 5.
Summa summarum: Lasst Latein leben! Und sei es nur darum, all jene korrigieren zu können, die in fachsimpelnder Weise davon sprechen, dass die Würfel schon gefallen sind. Tatsächlich wurde nämlich nur ein Würfel geworfen. Et cetera, et cetera.
(Hellin Jankowski, „Die Presse“, 15.5.2018)
» Wer hat die Eule nach Hermagor gebracht?
Latein und Studium
Für zahlreiche Universitätsstudien ist Latein Studienvoraussetzung, die im Gymnasialunterricht erworben werden können oder an der Universität bis zum 3. bzw. 5. Universitätssemester nachzubringen sind.
Hier die bekanntesten:
Medizin
Jus
Pharmazie
Theologie
Archäologie
Philosophie
Geschichte
Kunstgeschichte
Deutsch
Vergleichende Literaturwissenschaften
Englisch
Französisch
Spanisch
Portugiesisch
Russisch
und alle Sprachen als Lehramts–, Diplom– und Übersetzungsstudium. Nur für das reine Dolmetscherstudium, also mündliche Übersetzung, braucht man kein Latein.